Erinnerungsangebote von Kai Fischer Analyse und Interpretation



Die Kurzgeschichte „Erinnerungsangebote“ von Kai Fischer wird in diesem Artikel vollständig analysieren und interpretieren. Die Analyse und Interpretation wurde bei einer Klausur geschrieben. Der Autor selbst hat zu der Analyse und Interpretation einen kurzen Kommentar abgegeben (siehe ältere Kommentare)!

Die Kurzgeschichte „Erinnerungsangebote“ wurde von Kai Fischer 2002 veröffentlicht. In der Kurzgeschichte geht es, nach dem ersten Lesen, offenbar um Erinnerungen, die immer wieder auftreten und vor denen man nicht weglaufen kann.

Eine männliche Person sieht vor einem Café seine ehemalige Freundin Saskia und versteckt sich schnell in einem Supermarkt. Bei dem dann vorgenommen spontanen Einkauf erinnern ihn die ausgewählten Produkte immer wieder an Saskia. Hierbei berichtet der Protagonist von Ereignissen, die er zusammen mit Saskia hatte. Am Ende stellt der Mann fest, dass er unbewusst nur Artikel, die ihn an Saskia erinnerten, in den Einkaufswagen tat.

Zunächst wird die Form der Kurzgeschichte analysieren.
Die Hauptfigur spricht in der Ich-Perspektive sowohl über äußere, als auch über innere Vorgänge. Ein äußerer Vorgang, über den er in der indirekten Rede berichtet, ist zum Beispiel die Anfangssituation, wo er vor seiner Ex-Freundin flieht (vgl. Z. 1-10). In den Zeilen 12-15, bei der sich über die hohen Gemüsepreise aufregt, kann man erkennen, dass auch innere Vorgänge wie Gefühle, Gedanken und Überlegungen beschrieben werden. Durch die Vermischung von inneren und äußeren Handlungen werden die Leser abwechslungsreich informiert. Die Eigenschaften der Figur Saskia werden direkt durch den Ich-Erzähler beschrieben. Allerdings erfährt man weniger über ihren Charakter, sondern eher über ihre Vorlieben und Abneigungen wie zum Beispiel, dass sie keine Tomaten mag (vgl. Z. 15-17). Ebenso muss man beachten, dass Saskia durch ihren ehemaligen Freund nur subjektiv charakterisiert wird. Über seinen eigenen Charakter hingegen wird der Leser nur indirekt durch sein Handeln, Verhalten, seine Gefühle und sprachlichen Äußerungen in Kenntnis gesetzt. Bei der Konstellation zwischen den beiden Hauptfiguren handelt es sich um eine gescheiterte Beziehung, welche maßgeblich für die Handlung ist. Saskia kann man als Typus charakterisieren, da bei ihrer Beschreibung nur allgemeine Dinge genannt werden, die auf jede Frau zutreffen können. Daher ist diese Person vieldeutig. Den Protagonisten jedoch würde ich als Individuum bezeichnen, auf Grund der Situation, in der er sich über einen einfachen, wenig verdienenden Verkäufer lustig macht (vgl. 50-53). Andererseits verhält er sich sonst in der Kurzgeschichte wie ein Typus und daher ist sein Wesen vieldeutig. Durch das Auswählen von nicht eindeutig definierbarer Personen, will Kai Fischer erreichen, dass sich jeder in diese Personen hinein versetzen und sich mit ihnen identifizieren kann. In der Geschichte gibt es zwei Handlungsebenen. Bei der Beschreibung des Einkaufs im Supermarkt liegt eine Zeitdeckung vor. Hierbei ist die Erzählzeit gleich der erzählten Zeit. Dies sieht man zum Beispiel daran, dass er genau beschreibt, welche Produkte er in den Regalen sieht (vgl. Z. 12-13). Hierdurch bekommt man alles zeitgenau mit, was während des Einkaufs geschieht und dies ermöglicht ebenfalls eine Hineinversetzung in eine Alltagssituation. Seine Erinnerungen an die Zeit mit Saskia werden jedoch in einer Zeitraffung erzählt, wobei die Erzählzeit kleiner als die erzählte Zeit ist. Dies wird dadurch deutlich, dass er beim Einkaufen nur von bestimmten Situationen aus der Beziehung mit Saskia berichtet (vgl. Z. 88ff.) Durch das Auswählen von bestimmten Ereignissen aus der Vergangenheit gibt die Kurzgeschichte einen kurzen und knappen Rückblick und hat auf den Leser keine langweilige und monotone Wirkung. Die Haupthandlung wird chronologisch in natürlicher Reihenfolge erzählt. Allerdings wird die natürliche Zeitfolge durch Rückwendungen in der Nebenhandlung durchbrochen (vgl. Z. 15-20). Die Kurzgeschichte beginnt ohne eine Einleitung mitten im Geschehen vor dem Café (Z. 4 ff.) und endet mit einem offenen Schluss an der Supermarktkasse (vgl. Z. 126).

Der Verfasser Kai Fischer hat den für eine Kurzgeschichte charakteristischen Schluss gewählt, damit der Leser hierdurch zum Denken animiert wird und sich eine eigene Fortführung der Handlung überlegen kann. Es handelt sich in der Kurzgeschichte um einen Handlungsraum, wobei der Raum eine Voraussetzung für die Ereignisse und Handlungen ist, denn ohne der Handlung im Supermarkt würde er sich nicht an die Zeit mit Saskia zurückerinnern. Ebenfalls kann man die Produkte als Raumsymbol bezeichnen, weil hinter den Artikeln eine Erinnerung an die alte Zeit verborgen ist. Kai Fischer verwendet einen sozialschicht-spezifischen bzw. einen mundartlichen Wortschatz. Die meisten Wörter sind von hoher Gebrauchsfrequenz und daher für fast jeden verständlich. Allerdings kommen auch umgangssprachliche und saloppe Formulieren vor zum Beispiel „ne rare Ausgabe von Spidermann im Secondhand gefunden“ (Z. 84-85). Trotz dieser Formulierungen kann der Leser immer verstehen, was gemeint ist. Auffällig sind auch die häufigen Nennungen und Aufzählungen von Lebensmitteln- und Produktnamen, wie beispielsweise in Zeile 12-13 „Gemüse, Kartoffeln, Karotten, Kohlköpfe“. In Zeile 57 befindet sich eine rhetorische Frage, die dem Leser in das Geschehen mit einbezieht. In der Kurzgeschichte finden sich häufig unvollständige Sätze (vgl. Z. 12-13). Der Grund hierfür ist der über den größtenteils der Geschichte stattfindenden inneren Monolog. Ein weiterer Grund für die unvollständigen Sätze liegt an der Situation im Supermarkt, wobei er viele verschiedene Artikel innerhalb kurzer Zeit wahrgenommen werden. Die äußere Form des Textes ist parallel zum Inhalt gegliedert. Jeweils, wenn die Handlungsebene in die Vergangenheit und anschließend wieder in die Gegenwart wechselt, findet im Text ein Absatz bzw. ein Zeilenumbruch statt. Dadurch ist der Wechsel zwischen den Handlungsebenen durch die äußere Trennung gut nachvollziehbar. Die gesamte Kurzgeschichte wird, wie ich am Anfang bereits kurz angerissen habe, von der ersten Person Singular erzählt. Jedoch findet sich in der Geschichte sowohl auktoriales, als auch personales Erzählverhalten wieder. Der Erzähler ist Persona, wenn er erzählt was er gerade im Supermarkt erlebt oder wahrnimmt. Wenn er aber über die Vergangenheit berichtet und dabei sein eigenes Handeln reflektiert, dann erzählt er in der auktorialen Form. Durch den Wechsel der Erzählperspektive ist die Erzählung abwechslungsreich. Der innere Monolog ermöglicht dem Leser eine Anteilnahme der Gefühle, Gedanken und Überlegungen der Figur. Der eingeschobene Dialog zwischen der Hauptfigur und dem Verkäufer hat den Sinn von den Erinnerungen abzulenken, was allerdings nicht gelingt, weil der Verkäufer ihn auf Saskia anspricht.

Aufgrund der dargelegten Untersuchungsergebnisse werde ich im folgenden Abschnitt den Text interpretieren. Der Supermarkt wurde als Handlungsraum ausgewählt, weil man dort, wie im echten Leben viele Dinge findet, die einem an etwas erinnern. Wie der Titel „Erinnerungsangebote“ bereits sagt, gibt es in einem Supermarkt viele verschiedene Angebote unter denen man auswählen kann. Auch im Leben und bei seinen Beziehungen hat man die Qual der Wahl und muss sich oft entscheiden. Wie bei dieser Kurzgeschichte erinnert man sich auch in der Wirklichkeit gerne an glückliche und fröhliche Ereignisse uns versucht die negativen Erlebnisse zu verdrängen. Daher hatte der Protagonist in den Einkaufswagen nur Sachen eingepackt, womit er positive Erinnerungen verbindet. Schlechte Erinnerungen versuchen wir im Leben immer zu verdrängen und sie zu vergessen. Vermutlich schmerzt dem Protagonist die Trennung noch sehr oder beide haben sich im Streit getrennt. Daher ist er vermutlich am Anfang geflohen um eine direkte Konfrontation zu vermeiden. Er hat also versucht, sich nicht an das traurige Ende der Beziehung zu erinnern oder dies erneut aufzufrischen. Man sieht an dem Verhalten und den Gefühlen des jungen Mannes, dass er diese Beziehung noch nicht abgeschlossen hat. Außerdem zeigt die Geschichte, dass man Erinnerungen zwar verdrängen kann, aber diese immer allgegenwärtig sind und immer wieder auftauchen. Vor allem bleiben schlechte Erinnerungen in den Gedanken zurück, wenn eine Angelegenheit, wie in diesem Fall, noch nicht abgeschlossen ist. Daher ist die Geschichte mit ihren Formelementen so geschrieben worden, dass sich jeder in die Lage der Person mit seinen immer wieder auftauchenden Erinnerungen gut hineinversetzen und auf seinen eigenen Alltag übertragen kann.

Abschließend möchte ich meine Deutungshypothese, dass es in der Kurzgeschichte um Erinnerungen geht, vor denen man nicht wegrennen kann, teilweise widerrufen. Der Text handelt zwar von Erinnerungen, welche man aber in gute und schlechte unterteilen kann. An die guten erinnert man sich gerne, den schlechten versucht man zu entfliehen. Es wird auch anhand der Kurzgeschichte gezeigt, dass Beziehungen die beendet erscheinen oft noch unbewältigt sind. Der Autor beschäftigt sich in diesem Text mit einem Alltagsproblem und veranschaulicht dem Leser diese Phänomen an einem alltäglichen Ort. Ich persönlich finde diese Kurzgeschichte sehr gelungen, da sie anschaulich geschrieben ist und Elemente einer Parabel enthält. Die Geschichte macht einen nachdenklich und man sucht bei sich selbst nach verdrängten Erinnerungen aus der Vergangenheit, die unverarbeitet blieben.

Viel Spaß bei der Interpretation der Kurzgeschichte „Erinnerungsangebote“ von Kai Fischer !

Der Autor Kai Fischer (Ameisenkönig) hat zu dem Beitrag einen kurzen Kommentar abgegeben (siehe unten bei älteren Kommentaren).



12 Kommentare

  • rotebkume

    könnte jemand die Atmosphäre der Geschichte erzählen???
    Und die bottschaft des Autors????

  • Jannis-Luca

    Hat mir richtig geholfen!
    Großes Lob von mir!
    Wenn jemand den Text auf der Straße sehen würde, würde er sagen:“der ist ok.“